01.04.2020 – Lehrerin: „Wenn Lehrer zu Schülern werden“

 

Ich habe vor gut einem Jahr angefangen, ein Instrument zu spielen. Den Wunsch hatte ich schon lange, aber irgendwie hat es nie gepasst. Nun habe ich wöchentlich Unterricht. Ich habe festgestellt, dass ich wirklich gern spiele. Ich mag es, Töne zu erzeugen, die sich zu einer Melodie zusammenfügen. Zu einer schönen… wenn ich es hinbekomme. In vielen Fällen klingt sie schief, oder durch nicht gewollte Pausen zerstückelt. Hm, nun ja. Ich klammere mich an die Vorstellung, dass es sich mal ändern wird. Und glücklicherweise habe ich ja zwischendurch Erfolgserlebnisse. Das ist dann immer ein schönes Gefühl.

Auf Grund von Corona kann der Musikunterricht im Moment nicht stattfinden, sodass ich auf mich allein gestellt bin. Mit meiner Lehrerin habe ich ausgemacht, dass ich ihr meinen Fortschritt als Aufnahme zusende. Soweit so gut.

Ich übe momentan sehr intensiv, habe auf eigene Faust weitergemacht. Und irgendwie macht mich das stolz und ich freue mich über meinen eigenen Einsatz und auch den Fortschritt. In den letzten Tagen habe ich mich immer wieder dran gemacht, eine Aufnahme anzufertigen. Immer wieder habe ich für mich festgestellt, dass es heute nicht geht. Irgendwie bin ich zu unruhig. Ich habe mehrmals angesetzt aufzunehmen und mich immer wieder ganz schnell verspielt. War dann ganz schnell frustriert. Bei einer relativ langen Aufnahme klang es bei jedem Wechsel der Finger so, als würde mich jemand schieben… also meine Finger… und sie würden nur mit ganz viel Widerstand auf die Tasten runter gehen. Hm, nun ja.

Diese Melodie, die ich übe, ist momentan mein ständiger Begleiter. Sie ist als Ohrwurm in meinem Kopf und ich summe sie vor mich her. Ich habe mir auch die Tastenfolge eingeprägt und spiele sie immer wieder in meinem Kopf durch. Heute früh, da setzte ich mich dran und spielte. Einmal von Anfang bis zum Ende. Die Melodie plätscherte leicht und wohlklingend dahin. Ein paar kleinere Fehler haben sich eingeschlichen, aber das war ok. Als ich fertig war, stieg die Begeisterung in mir hoch: „Ich hab‘s geschafft! :D“

Nur… keine Aufnahme gemacht. Verdammt. Ok, kein Problem. Wenn ich es gerade hinbekommen habe, dann ist heute ein guter Tag dafür. Dann mache ich das Gleiche noch einmal. Ist doch einfach.

Und dann drückte ich auf den Aufnahme-Button. Schlagartig haben meine Fingen angefangen zu zittern. Ich habe mich an den Stellen verspielt, die bisher praktisch immer richtig waren. Grrr… Beim dritten Anlauf habe ich nun bis zum Ende durchgehalten und die Aufnahme fertig gestellt. Mit vielen Fehlern. Besser hat es einfach nicht geklappt. :/ Einfach nur, damit ich die Abgabe nicht um noch einen Tag verschiebe, habe ich sie abgeschickt.

In solchen Situationen denke ich immer wieder an meine Schüler. Ich erlebe es so häufig, dass mir Kinder und Jugendliche sagen „Beim Üben habe ich es gut hinbekommen. In der Klassenarbeit war alles weg. :(“ Da schwingen dann so viel Enttäuschung, Selbstzweifel und Ratlosigkeit mit. Total verständlich! Ich versuche meine Schüler zu bestärken. Ihnen Mut zu machen. Ihnen was an die Hand zu geben, was hilft. Denn mir ist bewusst, dass ihr auch noch schwierigere Bedingungen habt:

Ihr habt kein Mitspracherecht bei der Auswahl des Klassenarbeitstermins. Ihr könnt nicht an dem Tag, an dem ihr euch besonders gut dafür fühlt, Bescheid sagen und die Leistungsüberpfrüfung absolvieren.

In meinem Fall – beim Musizieren – geht es für mich um nichts. Ich mache das nicht, um einen Schulabschluss zu erreichen. Für mich schwingen keine Ängste mit, mir was zu verbauen. Und trotzdem bin ich immer wieder enttäuscht über mich selbst, dass ich die „Leistung“ nicht auf Knopfdruck abrufen kann.

Ich habe schon etliche Prüfungssituationen gemeistert. Eigentlich kann ich mich allein damit schon beruhigen, dass es total ok ist, wenn da gerade jemand zuhört. Und doch bekomme ich das so schwer in den Griff.

Generell in der Schülerrolle zu sein, hat mir viel gezeigt. Irgendwie läuft es ja so: Ich mache Fehler, meine Lehrerin verbessert mich. Sie weist mich immer wieder auf meine Fehler hin. Neben ein paar kurzen Wortwechseln ist das unsere einzige Interaktion. Sie macht es mit dem Ziel, dass ich daran wachsen und mich verbessern kann. Dass ich mein Potential ausschöpfen kann. Für mich ist es immer wieder ein Hinweis auf Fehler, die mir ja gerade in ihrer Gegenwart unterlaufen. Ein Stochern in der Wunde. Es kostet mich total viel Mühe und Kraft, diese Fehleranmerkungen nicht als Kritik an mir als Person aufzunehmen. Sondern als wohlwollendes Bestreben, mir zu helfen, genau damit umzugehen.

Und nun zu euch, liebe Schüler: Ich habe höchsten Respekt vor jedem Einzelnen von euch. Wie ihr es meistert, daran zu wachsen, wenn ihr täglich auf Fehler hingewiesen werdet. Wie ihr nicht den Kopf hängen lasst. Dass ihr immer wieder den Mut aufbringt, eure „Schwächen“ offen zu legen. Von mir weiß ich, dass ich es nicht immer hinbekomme, geduldig und ausgewogen zu sein. Manchmal bekommt ihr es sehr deutlich mit, dass ich einen schlechten Tag habe. Und obwohl ihr selbst gerade so vielen Herausforderungen die Stirn bietet, bringt ihr Verständnis auf. Gebt mir ganz intuitiv und einfach, weil ihr so seid wie ihr seid, so viel zurück. Danke dafür!

Im schulischen Alltag gehen solche Gedanken so häufig verloren. Umso dankbarer bin ich, dass ich jetzt gerade die Zeit und die Muße habe, diese Gedanken mit euch zu teilen.

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