Mai 2020 – Eltern: „Mit einem gespielten Lächeln der Zuversicht winkte ich ihr […] zu“

[Anmerkung: Die Autorin schrieb diesen Text bereits im Mai 2020 – und entschied sich nun, ihn doch noch veröffentlichen zu lassen. Vielen Dank für das Vertrauen!]

 

Ein Stückchen Normalität nach 7 Wochen…

Meine Tochter geht in die 4. Klasse einer Grundschule und hat daher gerade ihre ersten beiden Schultage nach 7 Wochen Lockdown hinter sich. Ich fühle mich irgendwie ohnmächtig, als sei ich überfahren worden. Ich habe das Gefühl, mir wird die Kontrolle über die Situation aus der Hand genommen. Bis gerade noch hat man uns die alleinige Verantwortung für unsere Kinder übertragen. Wir haben uns in unserem Mikrokosmos eine eigene, „sichere“ Familienblase geschaffen – fern von jeglicher Realität, eingebettet in eine familiäre Geborgenheit. Dies sollte unseren Kindern ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität vermitteln. Nun muss ich „mein kleines Mäuschen“ wieder in die reale Welt entlassen…

Als sie sich mit Mundschutz ihren Weg zwischen einer Traube ignoranter Eltern vor dem Schultor bahnte und allein über den Schulhof lief, um sich vor dem Eingang in eine Warteschlange einzureihen, hatte ich einen Kloß im Hals. Mit einem gespielten Lächeln der Zuversicht winkte ich ihr von der anderen Straßenseite zu. Ich war traurig und wütend zugleich. Auf dem Gehweg hatte sich gerade ein anderes Kind übergeben. Panik, Angst oder einfach nur etwas Falsches gefrühstückt?

Wir hatten doch versucht, alles richtig zu machen beim Home Schooling. Doch die Stimmen der Lockdown-Kritiker wurden immer lauter…So laut, dass sie nicht mehr zu überhören waren. Sie empören sich über die Einschränkungen, die wir den „kleinen Menschen“ zumuten. Meine Wahrnehmung war plötzlich unwichtig geworden. Wir wurden auf einmal alle über einen Kamm geschert. Wir sollten uns freuen, hatte man uns doch symbolisch die Hand gereicht, um uns endlich von unserem „Elend“ zu befreien.

Ich wurde nicht gefragt. Ich hatte keine Wahl, keine Zeit, mich mental darauf einzustellen. Am Dienstag erreichte uns die Mail, dass ab Donnerstag die Schule wieder beginnt. Keiner von uns hatte ernsthaft daran geglaubt, dass NRW die Schulen wieder öffnen würde. In der Mail der Grundschule stand, dass LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern diesen Moment schon lange herbeigesehnt hätten. Ich hatte nichts herbeigesehnt. Für mich kommt diese Entscheidung zu früh, zu überstürzt …

Eine Lehrerin meiner Tochter versicherte mir, die Kinder seien glücklich gewesen. Versucht sie damit mich zu beruhigen oder sich selbst? Bin ich egoistisch, wenn ich diesen trügerischen Schritt für übereilt halte?

Aber warum mische ich mich da überhaupt ein? Bis Mittwoch saßen wir noch alle in einem Boot, jetzt segeln die LehrerInnen wieder allein. Die Viertklässler halten sich wunderbar an alle Regeln und alle tragen einen Mundschutz mit Tiermotiven. Dann kann ja nix mehr schief gehen…

 

Home Schooling for Dummies

Wir als Eltern nehmen das Home Schooling sehr ernst. Zum Glück sind wir digital gut ausgestattet. Aber auch bei uns gab es Anfangsschwierigkeiten. Die erste Woche der Schulschließung war für alle eine große Herausforderung und man musste sich umstellen. Ambitionierte Pläne wie täglich Sport zu machen, regelmäßig Pausen einzulegen, sich ausschließlich gesund zu ernähren und nebenbei noch Keller und Dachboden auszumisten, wurden schnell von der Realität überrollt. Nachdem unseren Sohn gefühlt im Stundentakt neue Aufgaben, Anregungen zu online-Lernangeboten und sämtlichen Bildungs-Links dieses Planeten erreichten, galt es die Notbremse zu ziehen. Unsere erste Aufgabe war es nun, ein Häufchen Elend, das von der Flut an Informationen vollkommen überwältigt war, zu trösten und ihm einen „roten Faden“ an die Hand zu geben. Quasi eine Fahrplan fürs Home Schooling zu entwickeln. Ein großes „Lernstudio“ am Esstisch, in dem unsere Grundschülerin zusammen in unendlicher Harmonie mit unserem „Landfermann“ lernen sollte, entpuppte sich als Hollywood-Illusion. Schließlich trennten wir unsere Kinder und setzten sie in unterschiedliche Räume, um ihnen das Lernen zu erleichtern und die Situation für alle entspannter zu gestalten.

Ab Woche 2 und 3 merkte man zunehmend, dass auch die LehrerInnen sich von dem plötzlichen Schock erholt hatten. Sie wollten sich nicht das Ruder aus der Hand nehmen lassen. Die Ergebnisse der Schüler-Umfragen wurden berücksichtigt und das Feedback der SchülerInnen wurde wirklich ernst genommen. Ein großes Lob an das Team des LFG! Es gab eine verlässliche Regelmäßigkeit, auf die man sich einstellen konnte und die anfängliche Panik unseres Sohnes verwandelte sich in eine positive Lerneinstellung mit Zuversicht.

Die Aufgaben über ausschließlich über das IServ-Modul zu übermitteln, erleichtert das Lernen und ist übersichtlicher. Abgabetermine können eingesehen und nachgehalten werden, die Kommunikation zwischen Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen funktioniert einwandfrei.

Dennoch haben wir festgestellt, dass die Vorgabe von 3 Zeitstunden eigentlich unrealistisch ist. Und auch am Wochenende muss hin und wieder etwas getan werden. Ja, eine individuelle Rückmeldung zu den erledigten Aufgaben ist sehr zeitaufwendig, aber sie kann ein enormer Motivator sein. Auch Negatives wird zurückgemeldet, das ist vollkommen ok. Es sollte nur nicht das Einzige sein, dass das Feedback enthält. Viele LehrerInnen finden dabei bereits die richtige Balance, andere könnten daran noch arbeiten. Leider stimmen sich die LehrerInnen zwar innerhalb der Fachschaft, aber nicht unbedingt fachübergreifend ab was den Zeitaufwand der gestellten Aufgaben angeht. Woran das liegt, kann ich nicht beurteilen.

Als positiv erkennen wir in den letzten Wochen, dass LehrerInnen langsam kreativer werden, sich trauen neue Wege ausprobieren, um Lerninhalte attraktiver zu gestalten. Allerdings sollten dabei Aufwand und Nutzen auch in einem vernünftigen Verhältnis stehen.

Wir Eltern sollen unsere Kinder beim Home Schooling begleiten, wir sollen keinesfalls in die Rolle des Lehrers schlüpfen und wir sollen die „Truppen motivieren“. Das ist nicht so leicht, denn gerade bei komplett neuen Themen müssen auch wir ein bisschen Lehrer sein, den Lernstoff aufbereiten und vermitteln. Da reichen „Sofatutor“ und „Lehrer Schmidt“ allein nicht aus.

 

Störfaktoren fehlen

Wir als Familie genießen den entschleunigten Alltag und alles in allem klappt es ganz gut. Es klingt vielleicht kitschig, aber ich habe das Gefühl, dass wir uns noch näher stehen. Wir gegen den Rest der Welt! Allen Widrigkeiten zum Trotz birgt der Lockdown auch Chancen. Gerade unser Sohn lernt im Moment, was Zeitmanagement bedeutet und wie wichtig eigenverantwortliches Arbeiten ist. Außerdem gibt es hier zu Hause keine Störfaktoren wie Lautstärke, Klassenstärke und unangebrachte Sprüche oder Handlungen von Mitschülern und Mitschülerinnen. Wir haben festgestellt, dass unsere beiden Kinder viel entspannter lernen und auch wesentlich ruhiger sind. Denn manchmal kamen sie doch sehr aufgewühlt aus der Schule zurück. Herr Haering nennt es in seiner letzten Mail „Reibung“. Das ist sicherlich wichtig, um den Umgang miteinander zu lernen und die eigene Wahrnehmung zu schärfen. Ich möchte hier auch auf keinen Fall amerikanische Verhältnisse einführen, denn ich bin sehr froh, dass LehrerInnen für die Zusammenstellung der Lehrinhalte zuständig sind und konkrete Aufgabenstellungen sowie Anregungen zum Lernen geben und die Korrektur übernehmen. Dennoch kann in diesem Lockdown ja auch eine Chance zu neuen Lernansätzen stecken. Vielleicht kann ja ein Home Schooling Day und das Lernen in kleineren Gruppen durchaus zum festen Bestandteil der Schulkultur werden. Für die Konzentration ist Home Schooling sicherlich zu empfehlen, da zumindest in unserem Fall das Lernen in einem ruhigen Umfeld stattfinden kann. Das Thema Eigenmotivation rückt sicherlich auch in den Fokus. Hierbei müssen wir Eltern manchmal gezielt Anreize bieten und mit viel Verständnis agieren. Verständnis und Ruhe sind wichtiger denn je, denn unsere Kinder mussten sich innerhalb kürzester Zeit umstellen, anpassen und an die neue Situation gewöhnen – ob im schulischen oder im privaten Bereich. Wir sind sehr stolz auf unsere Kinder, die sich wirklich vorbildlich verhalten und enorm verständnisvoll reagieren. Mit dieser Einschätzung stehe ich sicherlich nicht allein. Deshalb möchte ich auch allen anderen SchülerInnen sagen: „Ihr seid großartig! Macht weiter so!“

 

Meine Ängste

Von Natur aus bin ich ein eher ängstlicher Typ. Doch meine eigenen Ängste verdränge weitestgehend, ich funktioniere. Zum eigenen Schutz lese ich nicht mehr jeden Beitrag zum Thema Corona, sonder wähle gezielt aus in welcher Plattform oder über welches Medium ich mich informiere. Das Home Schooling gibt mir Beständigkeit, es ist ein verlässlicher Faktor in unsicheren Zeiten geworden.

Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen ersten Einkauf, den ich allein mit Mundschutz gemacht habe. Es war ein eigenartiges, beklemmendes Gefühl durch einen Laden zu gehen, in dem die Regale sehr übersichtlich bestückt waren. Die Lage hat sich nun glücklicherweise entspannt und der Mundschutz ist bei vielen zum Standard geworden.

Allerdings muss ich zugeben, dass ich nur 2 Geschäfte aufsuche, da ich dort die Abläufe kenne und mich zurechtfinde. Ich meide Discounter und mache einmal pro Woche den Einkauf für unsere Familie, unsere Großeltern sowie unsere Nachbarin, die zur Risikogruppe gehört. Damit möchten wir unseren Kindern zeigen, wie wichtig es ist, Verantwortung zu übernehmen und solidarisch zu handeln.

Leider habe ich nun zunehmend das Gefühl, dass die Stimmung kippt und die Menschen leichtsinniger werden, die Pandemie sogar für Unsinn halten oder zu Kurzschlussreaktionen neigen. Ich versuche, nicht zu viel nachzudenken und baue auf die Vernunft der Menschen. Meine Familie gibt mir Kraft und ich bin unglaublich gerne mit meinen Kindern zusammen, durch sie fühle ich mich nicht allein. Überforderung spüre ich nicht, eingesperrt komme ich mir nicht vor, vielleicht ein wenig eingeschränkt. Das nehme ich aber gerne in Kauf, um meine Familie und andere zu schützen!

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